Voyah? Ja, Voyah. Kaum jemand in Europa wird die chinesische Marke kennen. Was auch wenig überrascht, schliesslich gibt es sie auch in China erst seit rund zwei Jahren. Letztes Jahr machte sie den ersten Schritt nach Europa mit dem Marktstart in Norwegen. Aber auch der Mutterkonzern Dongfeng dürfte hierzulande den meisten nur vom Hörensagen bekannt sein – obwohl die staatliche Dongfeng Motor Corporation zu den grössten und ältesten chinesischen Autoherstellern gehört. Mit Eigenmarken, vor allem aber mit Kooperationen mit europäischen und japanischen Marken wurde Dongfeng über die Jahre hinweg zur Nummer drei der Big Four, der vier grossen Autohersteller Chinas. Unter anderem Nissan, Renault und Honda nutzten Joint Ventures mit Dongfeng für ihre Präsenz auf dem chinesischen Markt. Jetzt hat sich das Blatt gewendet und China erobert den Weltmarkt – Dongfeng unter anderem mit Voyah.
Voyah will hoch hinaus
AR-Testteam | 26.10.2023
Premium? Mit der Marke Voyah will der chinesische Dongfeng-Konzern die (deutsche) Oberklasse angreifen. Teilweise gelingt das – teilweise ist es aber gar nicht nötig.
Klassisch: Dass Voyah mit Italdesign Giugiaro zusammenarbeitet, sieht man dem Free an. Anders als andere chinesische Hersteller macht Voyah keine optischen Experimente.
Das erste Modell ist der Free, den die noch junge Marke 2021 präsentierte. Das SUV kombiniert typisch chinesische Elemente mit Merkmalen, von denen man weiss, dass sie bei europäischen Kunden gut ankommen. Dazu gehört erst einmal das Design, da macht Voyah keine Experimente. Während sich andere Marken an gewagt futuristischen Designs versuchen, ist der Free zurückhaltend klassisch gezeichnet, was wohl auch stark von der Zusammenarbeit mit dem renommierten italienischen Designstudio Italdesign Giugiaro beeinflusst ist. Der prominente, konkave Kühlergrill könnte ebenso gut von Maserati stammen.
Viel Leistung, grosse Batterie
Bloss bräuchte der Free als reines Elektroauto gar keinen Kühlergrill. Und da kennt Voyah keine Zurückhaltung und weiss, wie europäische Kunden zu überzeugen sind: mit viel Leistung. Je ein Elektromotor treibt die Vorder- und die Hinterachse an, gemeinsam leisten diese ganze 360 kW (489 PS). Das Drehmoment von 720 Nm sorgt für ordentlichen Vortrieb, sodass der Sprint aus dem Stand auf 100 km/h bloss 4.4 Sekunden dauert. Die Höchstgeschwindigkeit liegt knapp über 200 km/h. Dazu gibt es sechs verschiedene Fahrprogramme von Eco über Sport bis Offroad und Schnee, die vor allem die Drehmomentregelung und das Ansprechen des Antriebstrangs beeinflussen.
Der Voyah Free bietet ausgesprochen viel Platz, im Innenraum wie im Kofferraum und auch im Frunk.
Auch bei der Grösse der Batterie geizt Voyah nicht, mit einer nutzbaren Kapazität von 106 kWh gehört sie zu den grössten auf dem Markt. Allerdings zeigt sich im Test schnell, dass man sich von der reinen Kapazität nicht zu viel versprechen darf. Voyah gibt eine WLTP-Reichweite von 500 Kilometern an, in der Praxis waren es aber, wohl auch der winterlichen Temperaturen wegen, deutlich weniger. Im Alltagsverkehr lag der Verbrauch bei rund 25 kWh/100 km, was eher hoch ist. So liegen nie mehr als 400 Kilometer zwischen zwei Ladestopps. Auch das ist noch akzeptabel, allerdings kommt im Free aus einem anderen Grund wieder Reichweitenangst auf. Nicht des zu kleinen Aktionsradius wegen, sondern aus Furcht vor dem Laden. Die maximale Ladeleistung liegt bei gerade einmal 100 kW, sodass das Aufladen der Batterie von zehn auf 80 Prozent eine knappe Stunde dauert – in der Theorie. In der Praxis zeigte sich, dass die Ladeleistung kaum je mehr als 90 kW beträgt, der Ladestopp wird so zur Geduldsprobe.
Digitale Spielereien
Wenn das Auto aber wieder fährt, dann fährt es sich komfortabel. Das Luftfahrwerk gehört zu Serienausstattung und erledigt seinen Job beeindruckend gut – auch das ein Wert, der für den Erfolg in Europa unerlässlich ist. Auch auf weniger ebenen Strassen schaukelt das Auto nicht auf. Einzig die Lenkung dürfte noch etwas präziser und direkter sein. Auch sonst verwöhnt der Free die Insassen. Die Vordersitze sind geheizt, belüftet und mit einer Massagefunktion ausgestattet, und das riesige Glasdach verdunkelt sich auf Knopfdruck ab. Überhaupt wartet Voyah mit einer Vielzahl elektronischer Funktionen und digitaler Spielereien auf, ganz so, wie man es auch sonst von der chinesischen Konkurrenz kennt. Auffallend sind die drei Bildschirme, die sich über die gesamte Breite des Armaturenbretts erstrecken. Im Ruhemodus sind sie halb versteckt, beim Einsteigen fährt die gesamte Einheit eine Handbreit hoch. Auf Knopfdruck oder wenn der Sport-Modus aktiviert wird, können die Bildschirme wieder im Armaturenbrett versenkt werden. Es ist eine nette Spielerei, allerdings ohne grossen Nutzwert – ein Head-up-Display wäre praktischer als bewegliche Bildschirme.
Ausserdem überrascht er mit einer Menge elektronischer Spielereien wie dem dimmbaren Glasdach oder den drei Bildschirmen, die sich über die gesamte Breite des Armaturenbretts erstrecken und sich auf Knopfdruck heben und senken.
Über den grossen, zentralen Touchscreen kann so ziemlich alles nach Belieben eingestellt werden, vom Verhalten der Assistenzsysteme bis zur Klimaanlage. Für diese gibt es auch echte Knöpfe – glücklicherweise, denn die Struktur des Infotainments und die Bedienung der Menüs ist wenig übersichtlich. Zusätzlich ist auf der Mittelkonsole auch noch ein Trackpad verbaut, mit dem per Wischen nach oben und unten auch die Lautstärke verändert wird. Darauf muss man auch erst einmal kommen. Das ist der chinesische Einfluss auf den Charakter des Voyah Free: Man macht alles, was man kann, und man macht alles digital. Auch wenn manchmal weniger mehr wäre und es praktischere Lösungen gäbe. Wie eben einen Drehknopf als Lautstärkeregler anstelle des Touchpads. Um beim Digitalen zu bleiben: An Assistenzsystemen hat der Free alles an Bord, was heute gängig ist, vom adaptiven Tempomaten bis zum Spurfolgeassistenten. Allerdings arbeiten die Systeme etwas gar nervös und lassen sich oberhalb von 130 km/h gar nicht mehr aktivieren.
Sehr viel Platz
Ganz seinem Namen folgend bietet der Free im Innenraum viel Freiheit, sprich Platz. Davon gibt es vorne wie hinten reichlich, auch in der zweiten Reihe sitzt es sich komfortabel, mit viel Knie- und Kopffreiheit auch für Erwachsene. Im ganzen Innenraum findet sich wenig Hartplastik und dafür sehr viel Kunstleder, dessen Qualität keinen Anlass zu Kritik gibt. Der Kofferraum fasst mindestens 560 Liter, die Rückbank lässt sich geteilt abklappen. Eine der wenigen aufpreispflichtigen Optionen ist, neben einer Anhängerkupplung, eine Durchreiche im mittleren Sitz. Der Frunk unter der vorderen Haube fällt mit 72 Litern auch grosszügig aus und bietet Platz nicht nur für ein Ladekabel, sondern auch noch für etwas Gepäck.
Von hinten zeigt der Chinese nicht besonders viel Eigenständigkeit.
Der Voyah Free will die Oberklasse herausfordern, was Nicht-Europäern immer noch schwer fällt. Das Attribut Oberklasse ist ein Statussymbol, und da zählen zwei Dinge: der Name und der Preis. Den Namen haben unbekannte Marken (noch) nicht. Das ist kein speziell chinesisches Problem, auch der US-Hersteller Lucid muss sich mit dem kürzlich in der Schweiz lancierten Air seinen Platz erst erkämpfen. Auch einen Premiumpreis hat Voyah nicht vorzuweisen: 69 900 Franken kostet der Free, all inclusive. Das ist deutlich weniger als die deutsche Premiumkonkurrenz, verschafft Voyah aber den Vorteil, dass man mit einem sehr attraktiven SUV gegen den gehobeneren Mainstream antreten kann. Und das ist vielleicht sogar mehr wert als das Prädikat Oberklasse.
Testergebnis
Gesamtnote 69.0/100
Antrieb
Mit 489 PS ist der Voyah Free mehr als ausreichend motorisiert. Die 106-kWh-Batterie verspricht eine grosszügige Reichweite, erfüllt dieses Versprechen aber nur bedingt. Vor allem durch die schlechte Ladeleistung fällt der Free ab.
Fahrwerk
Das Luftfahrwerk gibt keinen Anlass zu Kritik und ist komfortabel. Nur die Lenkung dürfte etwas mehr Feedback bieten.
Innenraum
Viel Platz, viel Komfort, viel Digitales: So präsentiert sich der Innenraum. Das Kunstleder ist hochwertig und sorgt für gehobenes Ambiente.
Sicherheit
Der Free hat alle gängigen Sicherheitssysteme an Bord, deren Funktionsweise ist allerdings sehr nervös. Dass sich die Assistenten dauernd ein- und ausschalten, lenkt ab.
Budget
Mit seinem Preis von knapp 70 000 Franken ist der Free nicht gerade günstig, allerdings bewegt sich Voyah auch in Richtung Premiumklasse. Und: Es ist ein All-inclusive-Preis, Optionen gibt es nicht.
Fazit
Voyah will mit dem Free die deutsche Premiumkonkurrenz ins Visier nehmen. In manchen Bereichen wie bei der Verarbeitung und der Fahrleistung gelingt das. Andernorts, bei Ladeleistung oder Assistenzsystemen beispielsweise, sind die Rückstände aber offensichtlich. Mit knapp 70 000 Franken ist der Free aber günstiger als die Deutschen.
Fotos: Vesa Eskola, Text: Ramon Egger
Kommentare
Keine Kommentare