Der Traum des Walter P.

Martin Sigrist | 15.02.2024

Jubilar Vor 100 Jahren zeigte der umtriebige Walter P. Chrysler erstmals 
ein Auto, das seinen Namen trug: den Chrysler Six.

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Premiere: Walter P. Chrysler am 5. Januar 1924 im Hotel Commodore in New York mit dem ersten Chrysler Six.

Das Auto setzte sich in den USA in den 1920er-Jahren auf breiter Linie durch.Ford dominierte den Markt mit dem in die Jahre gekommenen Model T, und General Motors setzte mit Chevrolet dazu an, den Autokönig Henry Ford vom Thron zu stossen. Dazwischen agierte Walter Percy Chrysler. In die noch junge Industrie war der Sohn eines Lokomotivführers 1912 eingestiegen. Bei Buick, einer Division von General Motors, brachte Chrysler die Produktion in Schwung. 1919 verliess er das Unternehmen nach Differenzen mit William C. Durant, dem Gründer von GM. 1921 bot ihm ein Bankenkonsortium eine Million Dollar, um Willys-Overland zu sanieren. Der Versuch, die Firma zu übernehmen, misslang. Ausgerechnet Durant, 1919 von GM in Unfrieden entlassen, schnappte sich Willys. Bei Maxwell aber hatte Chrysler Erfolg. Hier liess er ab 1924 ein Auto bauen, das nicht nur seinen Namen trug, sondern als Meilenstein der Automobilgeschichte gilt. Der Chrysler Six war ein Auto der amerikanischen Mittelklasse, dessen Entwicklung sinnigerweise bei Willys begonnen hatte. Die beteiligten Ingenieure wechselten zu Walter P. Chrysler, nachdem auch ihnen die Ideen des neuen Willys-Besitzers Durant nicht zugesprochen hatten. Bei Chryslers Maxwell Motor Company konnten die Ingenieure ihr Werk vollenden.

Der Chrysler Six hatte einen 3.3 Liter grossen Sechszylindermotor mit stehenden Ventilen und rund 68 PS. Diese reichten für eine Höchstgeschwindigkeit von 70 Meilen pro Stunde, etwa 112 km/h. Der Wagen hatte als Novum hydraulische Bremsen von Lockheed. Hatten die meisten Hersteller erst kurz nach Anbruch der 1920er-Jahre auf mechanische Vierradbremsen umgestellt, waren ihnen die gleichmässig ziehenden hydraulischen Stopper meilenweit überlegen. Chrysler bot im Six einen austauschbaren Nebenstrom-Ölfilter des mit einer vollständigen Öl-Druckumlaufschmierung ausgerüsteten Motors. Bei vielen anderen Herstellern, etwa bei Chevrolet bis 1938, wurden die Motoren noch mit einer Mischung aus Druck- und Tauchschmierung betrieben. Die Leistung war ebenso bemerkenswert, der 1928 vorgestellte Ford A holte aus demselben Hubraum von 3.3 Litern nur 40 PS, ein Ford-V8 von 1932 mit 3.6 Litern leistete 65 statt 68 PS wie der Chrysler.

Kein Wunder, liessen sich von dem neuen Auto im ersten Verkaufsjahr 1924 über 32 000 Wagen absetzen. Diese kosteten ab 1500 Dollar – ein Ford T war 1924 ab 350 Dollar zu haben. Als logische Konsequenz wurde die Firma Maxwell 1925 nach dem Erfolgsauto in Chrysler Corporation umbenannt. Der Aufstieg von Walter P. Chrysler zu einem der späteren Big Three – Ford, GM und Chrysler – begann. 1928 übernahm Chrysler Dodge Brothers. 1929 bedeutete die Lancierung der generischen Marke DeSoto, benannt nach dem spanischen Eroberer Hernando de Soto, mit 81 065 Exemplaren im ersten Produktionsjahr die bis dahin erfolgreichste Neueinführung eines Modells.

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Der erste Chrysler Six Type 70 bremste 1924 bereits hydraulisch

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Der Chrysler Airflow war 1934 der erste US-Amerikanische Stromlinienwagen, der Wagen floppte

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Chrysler Turbine Car 1963

1963 Auf Probefahrt mit einem Chrysler Turbine car der ersten Serie

Der ehemalige AR-Redaktor Roger Gloor am Steuer eines Chrysler Turbine bei einer Probefahrt Mitte der 1960er-Jahre

Mut zur Innovation

Dem Six folgten weitere Modelle, und mit ihnen noch mehr Innovationen wie beispielsweise der elastisch aufgehängte Motor, der Floating Power, im Plymouth von 1931. Sensationell waren der Chrysler Airflow von 1934 und der DeSoto 1935 mit halb selbsttragenden Stromlinien-Stahlkarosserien mit leichten Hilfschassis.

Walter P. Chrysler war 1929 vom «Time»-Magazin zum Man of the Year gewählt worden, mit seinem Art-déco-Wolkenkratzer in Manhattan setzte er sich im folgenden Jahr sein eigenes, bis heute überdauerndes Denkmal. Die Depressionszeit überstand Chrysler erstaunlich gut. Im Jahr 1935 gab Walter Percy Chrysler den Posten als Präsident der Chrysler Corporation ab, blieb aber bis zu seinem Tod 1940 in New York Vorsitzender des Verwaltungsrats.

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Jaray-Chrysler 1928 auf Basis eines Type 72, karossiert bei Haizer und Hermann, Zürich.

Schweizer Pionier

Der 1889 in Wien geborene Paul Jaray lebte ab 1923 in der Schweiz und gilt als Pionier der Stromlinie im Automobilbau. Er patentierte eine wie aus einem Guss geformte Stromlinienform bereits 1921. In den 1920er-Jahren erregten die ungewohnten Autos viel Aufmerksamkeit, blieben aber kommerziell erfolglos, da sie nicht dem Zeitgeschmack entsprachen, ein Schicksal, das auch den erwähnten Chrysler Airflow ereilte. Dennoch wurden in den 1920er-Jahren einige Jaray-Autos gebaut, unter anderem der Chrysler Six Type 72 mit einem Aufbau der Zürcher Carrossiers Haizer und Hermann aus dem Jahre 1928. Das Auto dürfte wesentlich schneller gewesen sein als die der Chrysler-üblichen Typenbezeichnung entsprechenden 72 Meilen pro Stunde. 

Fotos: Archiv Automobil Revue

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