Projekt Tipo 4: Saab 9000, Lancia Thema, Fiat Croma und Alfa 164 feiern Geburtstag
Wolfram Nickel | 24.01.2025
Not macht erfinderisch: 1985 teilten sich ein Viertürer mit Ferrari-Power, ein sportlicher Schwede, ein grosses Familienauto und eine elegante Limousine aus Mailand ihre Gene.
Designikone: Pininfarina zeichnete den Alfa 164
Vor 40 Jahren fuhr der furios schnelle Saab 9000 Turbo allen vergleichbaren süddeutschen Premium-Platzhirschen davon, und er brachte als charismatischer Businessliner „made by Trolls in Trollhättan“ (Werbeslogan) die billigeren, aber meist gesichtslosen grossen japanischen Limousinen zumindest in Europa in Bedrängnis.
Doch bevor der Saab 9000 auf die Strassen Europas rollen konnte, musste der finanziell eher klamme Herstellern eine Herausforderung meistern: Wie die Konstruktionskosten des Saab 9000 stemmen?
Die Antwort lautete: Ein Joint-Venture mit den Italienern finden, denn auch bei Lancia, Fiat und Alfa Romeo fehlten um 1980 die Budgets, um ihre Ladenhüter Gamma (Lancia), Argenta (Fiat) und Alfa 6 zu ersetzen.
Und so kam es zu einer Kooperation, wie sie die Autowelt noch nicht gesehen hatte. Ein schwedischer und drei italienische Hersteller einigten sich in Turin auf das Projekt Tipo 4: die neuen Flaggschiffmodelle Saab 9000, Lancia Thema, Fiat Croma und Alfa 164.
Schwedische Technik in italienischem Design: Saab 9000
Trotz identischer Grundarchitektur und vieler Gleichteile – erkennbar etwa an den Vordertüren von Saab, Fiat und Lancia – besassen die vier Tipo-4-Fahrzeuge jeweils markentypische Charakterzüge. So avancierte der 1987 eingeführte Alfa 164 zu einer zeitlosen Designikone mit geradlinigen Pininfarina-Konturen, die bis 1998 rund 270‘000 Käufer fand.
Italienische Leichtigkeit prägte auch die drei weiteren Tipo-4-Entwürfe, die alle den Grundlinien einer von Giorgetto Giugiaro entworfenen Karosserie folgten, sich aber im Innenraum deutlich unterschieden.
Selbst dort wollte Saab nicht auf italienischen Einfluss verzichten, und so beauftragte Trollhättan den Turiner Stardesigner Aldo Sessano mit dem Entwurf einer elegant und raffiniert ausgestatteten Sicherheitskabine.
Erster Tipo-4-Vertreter auf dem Markt: Lancia Thema
Erster Viertürer mit Ferrari-Power: Lancia Thema 8.32
Für Präsidenten und Promis: der verlängerte Lancia Thema 2.8 V6
Italiens Alternative zu Mercedes E-Klasse und Co.: der Lancia Thema als stilvoller Kombi
Drehmomentstarker Turbo oder Ferrari-Achtzylinder mit 32 Ventilen
Auch unter der Motorhaube überraschten die vier Tipo 4 mit höchst unterschiedlichen Technologien, die sich aber alle einen Platz in den Geschichtsbüchern des Automobils sicherten.
Sei es der erste drehmomentstarke Turbo-Vierzylinder, der es mit V8-Aggregaten aufnehmen konnte und in Talladega/USA zahlreiche Weltrekorde aufstellte (Saab 9000) oder aber die erste viertürige Limousine mit Ferrari-Motor (Lancia Thema 8.32).
Technologische Meilensteine setzten Fiat mit dem ersten Diesel-Direkteinspritzer (Croma 1.9 TD i.d.) und Alfa Romeo mit dem 164 ProCar, der als Mittelmotor-Prototyp von einem reinrassigen Formel-1-Zehnzylinder befeuert wurde.
Aber auch als 164 Q4 mit permanentem Allradantrieb und 171 kW (232 PS) leistendem 24-Ventil-Triebwerk setzte der Alfa Akzente als bis dahin stärkstes Strassenmodell der Marke, die 1986 von Fiat geschluckt worden war. Der neue Firmensitz Turin hatte sich bereits im frühen internen Codenamen des Alfa 164 angedeutet: „Alberto“, ein Akronym aus Alfa, Berlina und Torino.
Fiat führte Alfa Romeo vorerst gemeinsam mit Lancia in der neu gegründeten Division Alfa-Lancia Industriale S.p.A. Tatsächlich wurde der bereits 1984 lancierte Lancia Thema nun zusätzlich im Alfa-Romeo-Werk Arese gebaut, ein Horrorereignis für viele Alfisti.
Immerhin signalisierte der sensationell verkaufte Thema das Erfolgspotenzial der Tipo-4-Modelle.
Europaweit überzeugte der Lancia als stilvolle Understatement-Alternative zu BMW, Mercedes, Citroen CX/XM oder grossen Rover- und Renault-Modellen. Sogar als präsidiale Staatslimousine mit langem Radstand legte Lancia den Thema auf, hinzu kam ein extravaganter Kombi aus der Carrozzeria Pininfarina und der erste „Lancia by Ferrari“ mit einem Motor aus dem Ferrari 308 Quattro Valvole. Knapp 4000 Enthusiasten begeisterten sich für diesen ersten Viertürer mit Maranello-Antrieb.
20 Tage mit 220 kmh: In Talladega/USA erzielte der Saab 9000 Turbo Weltrekorde
«Made by Trolls in Trollhättan» versprach ein Werbeslogan
Der Fiat Croma verkaufte sich fast eine halbe Million mal – nur der Saab war erfolgreicher
Fiat hingegen positionierte den fünftürigen Croma als preiswertes Familienauto mit grosszügigem Raumangebot und konnte so bis Ende 1996 immerhin 450‘000 Fahrzeuge absetzen.
Dann übernahmen Vans wie der Fiat Ulysse die Rolle des Familientransporters und der Croma reihte sich rasch in die Liga der vergessenen Alltagshelden.
«Saab pur», lobte die Presse die Fliesshecklimousinen vom Typ 9000, die ab Anfang 1985 verkauft wurden und zwei Jahre später durch die Stufenheckversion 9000 CD ergänzt wurden.
Fünf Türen und viel Platz für Gepäck und Familie: Fiat Croma
Saab hatte seinen Tipo 4 von Anfang an mit einem aufwendigeren Fahrwerk, einer steiferen Karosserie und fortschrittlicher Sicherheitstechnik ausgestattet. Investitionen, die sich für Hersteller und Kunden auszahlten: Als einziges Tipo-Modell knackte der Saab 9000 die Marke von einer halben Million Einheiten – und in Schweden taucht der robuste Typ bis heute im Strassenbild auf.
Dagegen brillieren die wenigen überlebenden Alfa 164 und Lancia Thema auf Klassiker-Veranstaltungen als Beispiele für stilsichere und technologieverliebte italienische Businessliner, die einst als Kultautos für Freiberufler und Kreative in fast allen grossen europäischen Märkten reüssierten. SP-X/AR