Kleinwagen Vor 40 Jahren lief der erste Seat Ibiza vom Band – und wurde für die Spanier zum grossen Erfolg. Dank der Hilfe von Porsche.
Es waren wilde Jahre, damals Anfang der 1980er-Jahre. Fiat, von Anfang an Partner der 1950 gegründeten Sociedad Española de Automoviles de Turismo, hatte wieder einmal Probleme und kein Geld, kündigte deshalb die Zusammenarbeit mit den Spaniern, verkaufte dem spanischen Staat seine Aktien für den symbolischen Preis von einer Peseta. Das wiederum brachte Seat in die Bredouille, denn die Italiener hatten seit 1953 brav die Vorlagen für die Spanier geliefert, zuerst den 1400, dann vor allem den 600, der schnell zum Volkswagen der Iberer wurde. Doch dann wurde quasi von einem Tag auf den anderen der Stecker gezogen.
System Porsche
Es war aber auch so etwas wie ein Glücksfall, Seat musste endlich auf eigenen Beinen stehen. Die Spanier konnten sich einen Auftrag von Volkswagen sichern, sie bauten in Barcelona die Modelle Passat und Santana zusammen, womit sie sich vorerst über Wasser halten konnten. Vor allem aber machten sie sich an die Entwicklung eines eigenen Kleinwagens. Wobei das neue Fahrzeug auf dem Seat Ronda basierte. Und der Ronda war ganz klar ein Fiat Ritmo, auch wenn ein – natürlich spanisches – Gericht entschied, dass der Anteil von Seat an der Entwicklung gross genug gewesen sei, dass er als komplett neues Modell bezeichnet werden dürfe. Das war etwas juristische Starthilfe für den Staatskonzern.
Ab 1982 liefen auch erste Übernahmegespräche mit Volkswagen. Da war Porsche, damals auch nicht gerade auf Rosen gebettet, leicht zu überzeugen, von den Spaniern den Entwicklungsauftrag für eine neue Motorenfamilie zu übernehmen. Einzige Vorgabe an die Ingenieure in Zuffenhausen: Die beiden bestellten Motoren mit 1.2 und 1.5 Litern Hubraum sollten exakt den gleichen Zylinderabstand haben, damit keine neuen Maschinen angeschafft werden mussten. Und so stand gross «System Porsche» auf den Maschinen, die 60 oder 86 PS leisteten – und damit potenter waren als jene im vergleichbaren VW Polo.
Innenleben von Karmann
Als Gesamtergebnis lief 1984 der erste Seat Ibiza vom Band, entworfen von Italiens Stardesigner Giorgio Giugiaro und mit einem für die damalige Zeit stylischen, vom deutschen Traditionsunternehmen Karmann entwickelten Innenraum. So verpassten ihm die Ingenieure statt der üblichen Blinkerhebel eine Art Bedieninsel links vom Lenkrad. Der Blinker wird über einen länglichen Kippschalter aktiviert, hinter dem eine Taste für die Hupe sitzt. Gewöhnungsbedürftig, aber anders – und cool. Dazu eine Fünfgangschaltung, die damals in dieser Fahrzeugklasse noch längst nicht Standard war. Oder elektrische Fensterheber. Ab 10 490 Franken kostete der Ibiza 1985 in der Schweiz, mehr als 1000 Franken weniger als der kleinere, schwächere und nur mit vier Gängen ausgestattete VW Polo.
Es war die Geburtsstunde eines Erfolgsmodells. Nach der Übernahme von Seat durch VW im Jahr 1986 fand der Ibiza schnell seinen festen Platz im Volkswagen-Konzern, platziert zwischen dem kleineren VW Polo und dem VW Golf. Ein Auto «made in Spain», aber mit deutscher Technologie. Diese schöne Kombination aus Ingenieurwissen und Improvisationstalent brachte etliche Prototypen und Kleinserien hervor. Beispielsweise den Ibiza Electrico von 1993, dessen 525 Kilogramm schwere Bleibatterien für rund 80 Kilometer Reichweite gut waren. Oder ein Cabrio, das die Spanier 1987 auf der IAA in Frankfurt (D) vorstellten – und dann doch nicht bauten. Aus heutiger Sicht entpuppt sich der Ibiza als Glücksfall für die Spanier. Über sieben Millionen Ibiza wurden seit 1984 weltweit verkauft. Er ist das Modell, das viele Menschen Seat als eine junge und coole Marke wahrnehmen liess. Das sieht auch der aktuelle Seat-Chef Wayne Griffiths so.
Zeitloses Gewand
Trotzdem wird die fünfte Generation, die seit 2017 vom Band läuft, auch die letzte sein, einen Nachfolger wird es nicht mehr geben. Auch ganz allgemein ist die Zukunft der Marke Seat eher unsicher, Wolfsburg setzt in Spanien ganz auf Cupra. Was irgendwie schade ist, denn gerade die erste Generation des Ibiza ist ein feines Automobil, wie die AUTOMOBIL REVUE bei einer Ausfahrt erleben durfte. Er sieht auch heute noch gut aus, Giugiaro (der zuvor ja auch den Golf geschaffen hatte) verpasste ihm ein unverwechselbares, zeitloses Gewand – was in diesem Segment doch sehr selten ist.
Und der Porsche-Motor ist gerade in seiner stärkeren Version eine ausgezeichnete Ingenieursleistung, er dreht angenehm ruhig und schön linear hoch. Die 63 kW (86 PS) haben keine Mühe mit den 925 Kilogramm Leergewicht, heute erscheinen 116 Nm maximales Drehmoment (bei 3500 U/min) als eher lächerlich, aber damals hatte ein 1.6-Liter-Golf auch nicht mehr. Der Spanier rannte in 12.2 Sekunden von 0 auf 100 km/h, der ewige Bestseller aus Deutschland brauchte gut eine Sekunde mehr. Und auch bei der Höchstgeschwindigkeit lag der Ibiza mit beachtlichen 175 km/h deutlich vorne. Die Lenkung ist einigermassen schwergängig, aber ausreichend präzis – da kommt tatsächlich so etwas wie Fahrspass auf. Was auch dem verhältnismässig straff abgestimmten Fahrwerk zu verdanken ist.
Kaum mehr Gebrauchte
Heute wundert man sich, wie viel Platz in einem 3.64 Meter langen, 1.61 Meter breiten und 1.40 Meter hohen Fahrzeug sein kann – zum Beispiel 320 bis 1200 Liter Kofferraumvolumen. Doch man sitzt auch gut, hat die Übersicht, und es ist alles luftig, leicht im Innenraum. Da ist zwar auch sehr viel Hartplastik, doch damals glaubte man noch, dass dies die Lösung sei, das neue Wundermaterial. Und die Armaturentafel wirkt im Vergleich zu heutigen Modellen schon eher zerklüftet. Dafür gibt es noch richtige Knöpfe und Schalter, die Bedienung ist kinderleicht. Schade ist, dass diese Ibiza der ersten Generation (Typ 021, bis 1991, das Facelift war grauenvoll) sehr selten geworden sind. Man findet kaum noch Gebrauchte. Das kann aber auch daran liegen, dass niemand seinen Ur-Ibiza hergibt, wenn er denn einen besitzt.
Die zweite Generation des Ibiza (Modellreihe 6K, ab 1993 gebaut) glänzte zwar auch noch im Giugiaro-Design, doch in ihm steckte schon viel mehr Volkswagen als spanische Lebensfreude. Der Porsche-Motor wurde durch die typische VW-Vielfalt ausgetauscht, dafür gab es aber einen GTi mit stolzen 129 PS, der weit über 200 km/h schnell rannte. Das war ein wirklich cooles Gerät, wie wir uns kürzlich selber überzeugen konnten, knapp über 1000 Kilogramm schwer, mehr als ausreichend motorisiert und mit einem sehr knackigen Fünfgang-Getriebe versehen. Der Spanier wuchs aber deutlich, 3.82 Meter waren es schon, auch innen wurde er den Vorgaben des Grosskonzerns angepasst. Und der Preis stieg ebenfalls auf beachtliche 14 750 Franken (1994), der Ibiza wurde damit teurer als der Polo. Bei diesem Modell ist die Lage bei den Occasionen deutlich besser, was in der Schweiz auch damit begründet werden kann, dass Seat hier im Vergleich zu anderen Ländern (ausser Spanien) immer einen erstaunlich hohen Marktanteil erreichte. Noch besser verkauft wurden die dritte und vierte Generation, auch wenn da die spanische Eigenständigkeit immer geringer wurde – dafür das Vertrauen immer grösser.
Einen Fahreindruck vom aktuellen Jubiläums-Modell des Seat Ibiza gibt es hier.